Ein Blogbeitrag mit Praxisbezug am Beispiel des Börsendebüts von Deliveroo
Als ich 2010 mein BWL-Studium begann und auf der Suche nach einem Wahlfach war, entdeckte ich den Kurs „nachhaltiges Wirtschaften“, der am neugeschaffenen Lehrstuhl für „Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft“ angeboten wurde. Mit etwa zwanzig Studenten diskutierte ich über das Ozonloch, den Klimawandel und wir berechneten Co2-Fußabdrücke. Wir analysierten die Thesen des Club-of-Rome oder das Kyoto-Protokoll. Wir stellten bereits damals fest, dass „nachhaltiges Wirtschaften“ essentiell für eine langfristige, nachhaltige Unternehmensstrategie ist. Auf fast jeder Liste mit Vorschlägen für Abschluss- oder Seminararbeiten tauchten Begriffe wie CSR, Corporate Governance, Integrated Reporting, nichtfinanzielle Berichterstattung oder Auswertungen mit ESG-Datensätzen (ESG steht für Environmental, Social, Governance) auf.
Im Herbst 2011 hat die EU-Kommission ihre neue CSR-Strategie veröffentlicht und in 2014 eine Ausweitung der Berichtspflichten durch die sog. CSR-Richtlinie realisiert. In 2017 erfolgte die Umsetzung in deutsches Recht und es wurden große kapitalmarktorientierte Unternehmen und Finanzinstitute durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG) dazu verpflichtet, über nichtfinanzielle Themen zu berichten. Damit wurde die bisher freiwillige Praxis der Nachhaltigkeitsberichterstattung für bestimmte Unternehmen verpflichtend. Diese Richtlinie wird momentan überarbeitet und weitere Regulierungen werden erwartet.
Im Rahmen des European Green Deals will die EU bis 2030 insgesamt Investitionen in Höhe von einer Billion Euro veranlassen, um globaler Vorreiter beim Klimaschutz zu werden. Zusätzliche jährliche Investitionen in Milliardenhöhe sollen dazu führen, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. Auch die Finanzwirtschaft soll nachhaltiger werden - hierzu hat die Bundesregierung den Sustainable Finance Beirat ins Leben gerufen, um sich bei der „Umlenkung von Finanzströmen“ beraten zu lassen. Dadurch sollen die Rahmenbedingungen für eine nachhaltigere Volkswirtschaft geschaffen werden.
In letzter Zeit stoße ich verstärkt über Anzeigen, Podcasts oder Webinare, in denen für „grüne Geldanlagen“ geworben wird und Verbraucher darauf aufmerksam gemacht werden, wie man mit seinem Geld auch Gutes tun kann. Blackrocks' CEO, Larry Fink, hat in seinen Briefen in 2020 und 2021 an seine Kunden und die CEOs der Unternehmen, an denen Blackrock wesentliche Beteiligungen hält, bereits adressiert, dass sich der Finanzsektor fundamental verändern wird und Nachhaltigkeit das Hauptkriterium seiner Investments werden wird. Er erwartet deshalb eine Transformation der Geschäftsmodelle.
Welchen tatsächlichen Einfluss ESG-Faktoren in der Wirtschaft mittlerweile haben, zeigt jüngst der Börsengang des britischen Lieferdienstes Deliveroo, der eine „echte britische Erfolgsgeschichte“ werden sollte. In den ersten Handelsminuten brach der Kurs jedoch um 30% ein, obwohl das Unternehmen die Preisspanne für seine Aktien bereits gesenkt hatte. Der Kurs endete am ersten Tag mit einem Minus von 26%. Auch in den Tagen danach zeichnete sich keine Erholung ab. Bereits im Vorfeld gaben einige der wichtigsten Londoner Asset Manager u.a. ihre Sorgen bekannt, dass Deliveroo aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und geringer Bezahlung nicht als sozial verantwortliches Investment gesehen wird. Im Umfeld des Börsengangs haben dann auch noch einige Lieferanten genau aus diesem Grund öffentlich protestiert, wodurch weitere potentielle Neuaktionäre abgeschreckt wurden. Deliveroo sind Milliarden entgangen[1]. Der entstandene Reputationsschaden wird nur schwer zu revidieren sein.
Das Bespiel zeigt einerseits, dass ESG-Faktoren zunehmend an Bedeutung gewinnen und andererseits welche essentielle Rolle Kapitalanleger bei der Transformation von Unternehmen zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen zukommt. Das, was wir als Studenten vor 10 Jahren als Theorie diskutierten, ist nun wirtschaftliche Realität und stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen und strategische Überlegungen. Dabei kommt der Datenverfügbarkeit eine bedeutende Rolle zu, da nichtfinanzielle Faktoren nur schwer quantifiziert werden können. Gleichzeitig sind verlässliche Daten aber essentiell, um das Vertrauen der Stakeholder zu gewinnen. Steigende Anforderungen erhöhen den Druck. Mit Spannung erwarte ich die weiteren Entwicklungen.
Für Fragen oder Anregungen stehe ich oder unser stetig wachsendes ESG Solutions-Team jederzeit zur Verfügung.
Ihre
Eva Schimmer
[1] Neben ESG-Faktoren hatten aber u.a. auch der Zweifel an einem profitablen Geschäftsmodell oder die geplante Eigentümerstruktur Einfluss auf diese Entwicklung.
Ihr Kontakt zu uns
Sie haben Fragen zu unseren Services oder der WTS Advisory? Wir freuen uns auf Ihre Nachricht oder Ihren Anruf!