Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) hat am 25.10.2023 die zweite Fassung eines Entwurfs einer Guidance zur Umsetzung der Anforderungen an die Wesentlichkeitsanalyse im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) veröffentlicht. Gemäß den am 31.07.2023 veröffentlichten finalen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) muss jedes von der Berichtspflicht betroffene Unternehmen eine Analyse zur doppelten Wesentlichkeit (materiality assessment) durchführen. Dadurch sollen die zu berichtenden Informationen in Bezug auf wesentliche Auswirkungen (impact materiality – ESRS 1, Kapitel 3.4) und finanzielle Wesentlichkeit (financial materiality - ESRS 1, Kapitel 3.5), die Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen umfassen, ermittelt werden. Die Guidance postuliert keine über die ESRS hinausgehenden Anforderungen, sondern stellt eine Hilfestellung zur Einrichtung eines Prozesses zur Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse da.
Die Wesentlichkeitsanalyse ist nicht auf das Unternehmen bzw. den Konzern beschränkt, sondern umfasst die Identifikation von Auswirkungen, Risiken und Chancen in der gesamten Wertschöpfungskette, und zwar sowohl auf der Bezugsseite als auch auf der Absatzseite. Insbesondere in der Lieferkette betrifft dies nicht nur die direkten Geschäftsbeziehungen (Lieferanten, mit denen eine vertragliche Vereinbarung besteht), sondern auch indirekte Geschäftsbeziehungen (Lieferkette der direkten Lieferanten).
Ist eine Auswirkung, ein Risiko oder eine Chance als wesentlich für das Unternehmen identifiziert worden, soll die zu diesem Aspekt relevante Information aus den Anforderungen des betreffenden ESRS veröffentlicht werden. Sollte der ESRS für die bestimmte Auswirkung, das Risiko oder die Chance keine ausreichenden, relevanten Informationen vorsehen, muss das Unternehmen selbst spezifische Angaben entwickeln und veröffentlichen. „Relevanz“ ist hierfür das entscheidende Kriterium, das sich an der Bedeutung der Information für den spezifischen Aspekt und am Wert der Information für Stakeholder orientiert.
Die ESRS schreiben keinen spezifischen Prozess für die Materialitätsanalyse vor, weil jedes Unternehmen für sich entscheiden soll, welche Prozessschritte bei ihm am besten geeignet sind. Dennoch hat die EFRAG zur Illustration eine Abfolge von Prozessschritten beschrieben, die die Anforderungen der ESRS erfüllen.
Diese sind:
a) Entwicklung eines Verständnisses für das Unternehmen und dessen Umfeld; dazu zählen u.a. eine Analyse der Strategie und des Geschäftsplans, des Jahresabschlusses und Lageberichts, die Produkte und Dienstleistungen, die Länder, in denen das Unternehmen Geschäftsbeziehungen unterhält, sowie die Wertschöpfungskette mit direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen.
b) Identifikation der tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen sowie der Risiken und Chancen, die sich aus Nachhaltigkeitsaspekten ergeben. Dieser Prozessschritt kann in einem Top-down- oder einem Bottom-up-Verfahren erfolgen.
c) Einschätzung und Festlegung der wesentlichen Auswirkungen sowie wesentlichen Risiken und Chancen, die sich aus Nachhaltigkeitsaspekten ergeben. Dies umfasst die Wesentlichkeit der Auswirkungen und die finanzielle Wesentlichkeit.
d) Berichterstattung.
Betroffene Stakeholder sind in den Prozessschritt zur Identifikation der tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen einzubeziehen. Dadurch werden deren Sichtweise und Bedenken zu tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt in der Wesentlichkeitsanalyse berücksichtigt. Dies kann einem potentiellen Verdacht von „Greenwashing“ entgegenwirken und dazu beitragen, dass dieser Prozess von allen Stakeholdern als ernsthaft angesehen wird.
Die Wesentlichkeit von Auswirkungen ergibt sich aus der Schwere der Auswirkung und deren Eintrittswahrscheinlichkeit. Für die Berichterstattung sind angemessene quantitative und qualitative Wertgrenzen festzulegen.
Die Identifikation der wesentlichen (finanziellen) Risiken und Chancen folgt entweder unmittelbar oder mittelbar aus den wesentlichen Auswirkungen. Auch hierfür sind angemessene Wertgrenzen festzulegen, die sich an den voraussichtlichen finanziellen Auswirkungen auf Ergebnis, Liquidität, Cashflow sowie Zugang zu Kapital orientieren sollen.
Abschließend enthält die EFRAG Guidance Hinweise zur Nutzung der Wesentlichkeitsanalyse nach GRI und nach den Standards des International Sustainable Standards Board (ISSB) bei der Durchführung der Materialitätsanalyse nach ESRS.
Autor: WP/StB/CPA Harald v. Heynitz, München
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